Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung. Langewiesen, 8. Mai 2015, Gedenkstein Knieberg - Eckhard Bauerschmidt

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Brandt,
liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

hier, am Eingang zum Knieberg steht dieser Gedenkstein, der daran erinnert, dass an dieser Stelle am 5. April 1945 vier KZ-Häftlinge von SS – Banditen ermordet worden sind. Dieter Gensecke, selbst Zeitzeuge jener Jahre, hat in bewegenden Worten daran erinnert.

Wir haben diesen Ort für diese Gedenkveranstaltung gewählt, weil es wichtig ist, selbst erlebtes dort zu verarbeiten, wo es geschehen ist und darüber zu berichten und weil es wichtig ist, daraus Lehren und Schlussfolgerungen zu ziehen.

2015 ist es dabei von besonderer Bedeutung, dass 70 Jahre nach Kriegsende immer weniger Zeitzeugen leben, die von damals berichten können. Denn, es ist eine Erfahrung, nichts ist beindruckender, als wenn Menschen, die das tatsächlich erlebt haben darüber reden.
Das haben wir vor 10 Jahren eindrucksvoll bestätigt bekommen, als Gustaf Schliefke, Überlebender des KZ Auschwitz aus Ilmenau über diese Zeit sprach. Und das haben wir im April dieses Jahres erleben können, als Pedro Mischtschuk zu Gast im Ilm-Kreis war, ukrainischer KZ-Häftling des Sonderlagers S III Ohrdruf, im Jonastal unter barbarischsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten musste.

Die Bilder, die ich als Augenzeuge erleben konnte, als er gemeinsam mit Oberst Dillert, der als amerikanischer Soldat im 2. Weltkrieg gegen die deutsche Wehrmacht kämpfte und Albrecht Dürer aus Liebenstein, der als Schuljunge in den Apriltagen des Jahres 1945 Zeuge der Ermordung von 12 KZ-Häftlingen  in seinem Dorf geworden ist, die sich auf den Todesmarsch befunden haben.
Dieses Bild von 3 betagten aber rüstigen Männern, Arm in Arm, im Jonastal an den Eingängen zu den Stollen, das werde ich nie vergessen.
Und was mir aufgefallen ist: Kein Hass auf Deutschland, bei keinem. Aber eine klare Botschaft: Achtet die Würde der Menschen, geht friedlich miteinander um, lebt Toleranz und Nächstenliebe, lasst keine Kriege mehr zu!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es gehört zu Erinnerungskultur, dass wir den 8. Mai als Tag der Befreiung in würdiger Form begehen. Er gehört zu unserem Leben. Er hat sich in unsere Geschichte eingebrannt.  

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des 2. Weltkrieges in Europa. Als Gedenktag erinnert er jährlich an die tiefe Zäsur von 1945: Den Neuanfang und die Befreiung von Krieg und Faschismus.
Heute ist der 8. Mai als Gedenktag für das Selbstverständnis der Bundesrepublik nicht mehr wegzudenken. Wir wissen: Das war nicht immer so. Und selbst heute fällt es schwer, dieses Selbstverständnis gemeinsam zu begehen, so wie wir das heute in Langewiesen tun.

Im Westen tat man sich schwer mit diesem Tag. Symbolisierte der 8. Mai doch  Befreiung und Niederlage zugleich und erinnerte damit auch an die große Schuld, die Deutsche auf sich geladen hatten. Das erschwerte bis in die 1980-er Jahre hinein die öffentliche Beschäftigung mit dem tiefsten Einschnitt in die deutsche Geschichte.

In der Erinnerungspolitik der DDR mit diesem Datum, war der 8. Mai politisch eindeutig besetzt als Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die Rote Armee. Die DDR hat sich als antifaschistischer Staat definiert, der an der Seite der Sowjetunion zu den Siegern der Geschichte gehörte.

Eine verkürzte Darstellung, wie wir wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Die Frage nach eigener Schuld wurde nicht gestellt.
Und ohne die Verdienste der Sowjetunion und ihrer Roten Armee in irgendeiner Weise schmälern zu wollen: Sie haben die größten Opfer gebracht und die Hauptlast des 2. Weltkrieges getragen. Aber an der Seite der Roten Armee haben in der Antihitlerkoalition amerikanische, französische und britische Soldaten gemeinsam mit Soldaten anderer Nationen gekämpft.

Ihnen allen wollen wir heute danken!

In unsere Städte und Dörfer, hier in Thüringen, hier im Ilm-Kreis haben amerikanische Soldaten im April 1945 Frieden und Befreiung gebracht.

Liebe Freunde,

in diesem Jahr begehen wir gemeinsam mit vielen Menschen in Europa und der ganzen Welt den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Wir erinnern daran: Mehr als 55 Millionen Menschen fielen Naziterror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum Opfer. Sie bezahlten den deutschen Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid und ihrem Leben.

Das darf nicht vergessen werden.

Altbundespräsident Richard von Weizäcker hat in seiner großen Rede am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag nicht nur diesen Tag als Tag der Befreiung gewürdigt als er sagte:
„Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.
Er hat auch, auf das „vergessen“ bezogen, ausgeführt:
„Das Vergessenwerden verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“.

Um dieses „vergessen“ und „erinnern“ geht es, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Richard von Weizäcker hat das „Erinnern“ positiv besetzt und uns damit einen Auftrag gegeben.

Das ist eine erste Lehre. Wir dürfen das zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschehene nicht vergessen und wir wollen uns ganz bewusst - erinnern.
Wir wollen das heute auch mit dieser Veranstaltung klar stellen: Wir wollen keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Wir wollen aus ihr lernen.
Aus ihr zu lernen heißt, die Irrtümer und Verfehlungen zu kennen, die in die Katastrophe geführt haben. Das heißt auch, um die Schuld der Vorfahren zu wissen, unserer Vorfahren.
Die SS-Angehörigen, die hier vor 70 Jahren 4 KZ-Häftlinge erschossen haben, waren Deutsche. Der 2. Weltkrieg dauerte ab diesem 5. April noch mehr als 4 Wochen. Mit äußerster Brutalität und Verbissenheit, mit Fanatismus hat sich das Naziregime der abzusehenden militärischen Niederlage entgegengestellt. Mit fast uneingeschränkter Unterstützung der Bevölkerung. Bis zu letzt! Es gab kein Aufbegehren, um ein Beispiel zu sagen: Als der Stadtkommandant von Gotha, Josef Ritter von Gadolla, in Weimar am 5. April 1945 zum Tode verurteilt und hingerichtet worden ist, auch da wurde nicht aufbegehrt, obwohl er nichts weiter „verbrochen“ hatte, als die Stadt kampflos an amerikanische Truppen zu übergeben und sie so vor sinnloser Zerstörung gerettet hatte.
Das ist Teil unserer Geschichte. Zweifelsohne der grausamste.

Und eine zweite Lehre muss es sein: Wir dürfen angesichts des unvorstellbaren Leids, das von Deutschland während des 2. Weltkrieges ausging und in Europa bis zum Ende, am 8. Mai 1945 anhielt, auch nicht der Versuchung erliegen, diese damit verbundene Schuld in irgendeiner Art und Weise zu relativieren.  Diese Schuld war einzigartig. Das kann nicht relativiert werden. Durch nichts!
Was nicht heißt, liebe Freunde, dass wir nicht darüber reden dürfen.
Wir müssen über Flucht und Vertreibung reden. Auch darüber, dass nach dem 8. Mai 1945 die Spaltung Europas begann und 45 Jahre andauerte.
Aber wir dürfen damit nicht versuchen, uns von unserer Schuld rein zu waschen.

Und wenn ich noch eine dritte Lehre sagen kann: Deutschland hat bedingt durch die Geschichte des 2. Weltkrieges eine besondere Verantwortung, wenn es um den Osten unseres Kontinents geht. Bei aller Unterschiedlichkeit der Bewertung der Entwicklung in der Ukraine zwischen Russland und der europäischen Union. Der Bundesrepublik fällt die Verantwortung zu, in besonderer Weise dafür einzutreten, dass Frieden die wichtigste Maxime unseres Handelns sein muss.
Es wird dort keine militärische Lösung geben.
Mehr noch, der militärische Faktor  darf dort und nirgends auf der Welt zum bestimmenden Instrument der Politik werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freunde und Genossen,

Sinn dieser Veranstaltungen die heute aus Anlass des Tag der Befreiung im Ilm-Kreis stattgefunden haben und natürlich auch der, hier in Langewiesen, sollte es vor allem sein, eine öffentlich wirksame Geste des Mitgefühls, der Solidarität und der Freundlichkeit gerichtet an die von Deutschland überfallenen Völker, an die Familien der ermordeten, verschleppten und geschundenen Zivilisten, an die Opfer und Hinterbliebenden des industriellen Massenmordes an den europäischen Juden, aber auch an die gefallenen, verkrüppelten und ermordeten Soldaten der Antihitlerkoalition, an Sowjetsoldaten der Roten Armee, an amerikanische GI, an Britten an Franzosen, an alle, die mit dazu beigetragen haben, Deutschland vom Faschismus zu befreien.
Danke für diese Tat!
Es ist an der Zeit, dass dieser Tag, der 8. Mai, 70 Jahre danach, in Deutschland oder zumindest in Thüringen ein gesetzlicher Gedenktag wird.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal den Satz von Richard von Weizäcker zitieren, weil dort in klarer Sprache auf den Punkt gebracht worden ist, worum es geht: „Das Vergessenwerden verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“.

In diesem Sinne, liebe Freunde, vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.